Ein Europa der Bürger

Beschluss des 72. Landesparteitags vom 9.4. – 10.4. 2016 in Wolfratshausen Die Europäische Union ist ein weltweit einzigartiger Raum von Sicherheit, Recht und Freiheit. Aus einer Idee zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist im Laufe der Jahre ein Erfolgsprojekt geworden, in dem Beziehungen, Reisen oder gemeinsame Standards über Grenzen hinweg selbstverständlich und täglich erlebbar sind. Trotzdem ist die EU für die meisten Bürger ein abstraktes Gebilde geblieben, das eine echte demokratische Beteiligung nicht vorsieht. Zu viele Entscheidungen werden weiterhin hinter verschlossenen Türen unter den Regierungschefs ausgehandelt. Ein überdimensionierter Verwaltungsapparat erarbeitet realitätsferne Regelungsvorschläge oder Prestigeprojekte für Kommissare. Milliarden Euro werden in einem intransparenten EU-Haushalt nicht nach Sachgründen sondern nach Proporz einfach nur umverteilt. Die FDP fordert die Weiterentwicklung der EU zu einer Gemeinschaft der Bürger.Wir fordern eine echte Reform der Zusammenarbeit und die demokratische Öffnung der Institutionen. Nur so kann eine gemeinsame europäische Identität entstehen. Europa als Wertegemeinschaft Der Einsatz für die Grundrechte ist eines der fundamentalen Prinzipien der EU. Ziel müssen dabei gemeinsame Standards auf Spitzenniveau und nicht - wie leider bisher so häufig - der kleinste gemeinsame Nenner sein. Recht und Sicherheit gelten dabei nicht nur für EU-Bürger, sondern auch für eingereiste Personen aus dem Ausland. Dies gilt aktuell ganz besonders für Personen aus Krisengebieten, die bei uns Schutz und Unterstützung finden können. Es gilt aber sogar für illegal eingereiste Personen, die Anspruch auf einen respektvollen Umgang ohne staatliche oder staatlich geduldete Vorverurteilung haben. Wir fordern:
  • Eine Verfassung mit Grundrechtekatalog. Die EU muss eine Verfassung mit unmittelbar geltenden Grundrechten erhalten. Jeder Bürger sowie das Europäische Parlament und die Kommission erhalten ein direktes Klagerecht.
  • Sanktionierung von Grundrechtsverletzungen. Die Kommission erhält bei festgestellten Rechtsverletzungen die Möglichkeit, den Mitgliedsstaaten konkrete Maßnahmen zur Beseitigung aufzutragen. Für weitere Verstöße sind feste Strafen festzulegen, die in letztlich auch zum Ausschluss aus derEU führen. Jedoch muss auch die Möglichkeit bestehen, zunächst durch bestimmte, harmlosere Eskalationsstufen den Mitgliedsstaat zum Einlenken zu bewegen.
  • Gemeinsames Europäisches Asylsystem. Das Gemeinsame Europäische Asylsystem mit einem zentralen Anerkennungsverfahren ist zeitnah umzusetzen. Anstelle des bisherigen Dublin-Verfahren sollen die Schutzsuchenden nach einem festen Schlüssel auf die Mitgliedstaaten verteilt werden. Die Asylstandards sollen europaweit angeglichen werden, damit derzeit vorhandene Fehlanreize wegfallen. Zudem darf es für Asylbewerber keinen Rechtsanspruch auf eine Auswahlmöglichkeit geben, in welchem Mitgliedsland sie Asyl beantragen können. Dabei bleibt ein etwaiger Familiennachzug unangetastet.
  • Freizügigkeit innerhalb Europas. Wir sehen die Freizügigkeit als eine wichtige Errungenschaft Europas an. Diese kann aber nur gewährleistet werden, wenn sichere und verlässliche EU-Außengrenzen durch die jeweiligen EU-Staaten garantiert werden. Um dies effektiv zu erreichen, fordern wir die Einsetzung einer echten, gemeinsamen europäischen Grenzschutzagentur, die sich aber auch die Aufgaben der Seenotrettung auf dem Mittelmeer widmen soll.
  • Schutz von Daten. Die Verfügungshoheit über die eigenen Daten muss zu jedem Zeitpunkt gewährleistet sein. Der Austausch von Daten kann grundsätzlich nur Gegenstand internationaler Verträge oder Abkommen sein, wenn ein gleichbleibend hohes Niveau an Datenschutz gewährleistet wird. Dies ist insbesondere für die USA aktuell nicht der Fall. In alle Verträge der EU sind No-Spy-Klauseln aufzunehmen.
  • Gemeinsamer Nachrichtendienst. Die Nachrichtendienstarbeit ist in einem gemeinsamen Auslandsnachrichtendienst zusammenzuführen. Die Spionage einzelner Staaten gegenüber Bürgern in anderen Staaten wird damit wirkungsvoll ausgeschlossen.
Konsolidierung statt Erweiterung Die Europäische Union hat seit jeher Anziehungskraft auf ihre Nachbarn entwickelt und deren Wunsch nach einem Beitritt geweckt. Nach der weitestgehend ungebremsten und eher politisch motivierten Erweiterung der letzten Jahre stößt die EU allerdings an ihre Kapazitätsgrenzen. Daher gilt:
  • Reform vor Erweiterung. Vor der Aufnahme weiterer Staaten sind die Strukturen und Verfahren der Zusammenarbeit in der EU grundlegend zu optimieren.
  • Aufnahme nur bei erfülltem Wertekatalog. Bei Erweiterungen dürfen in der Zukunft keine halbherzigen Kompromisse mehr gemacht werden. Staaten in denen Menschenrechte und insbesondere die Rechte von Flüchtlingen regelmäßig mit Füßen getreten werden, in denen rechte Parteien staatlich toleriert gegen Minderheiten hetzen und in denen Korruption an der Tagesordnung ist, sind keine Partner in einer Werteunion.
  • Möglichkeit der vertieften Zusammenarbeit. Eine vertiefte Zusammenarbeit mehrerer Staaten innerhalb der EU ist anzustreben. So kann unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei der Kooperation Rechenschaft getragen werden. Jede Gruppe muss dabei offen für nachträglich beitretende Staaten bleiben.
  • Kein Britenrabatt. Die Europäische Union ist keine erpressbare Transfergemeinschaft aus der einzelne Staaten ohne Zugeständnisse einenGewinn ziehen können. Die aktuelle Austrittsdrohung Großbritanniens darf nicht zu einem noch größeren Britenrabatt oder anderen Sonderlösungen führen.
  • Neuausrichtung der Zusammenarbeit mit der Türkei. Die Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei sind derzeit auszusetzen. Die Türkei entwickelt sich zunehmend zu einem gleichgeschalteten Einparteienstaat. Der aktuelle Krieg gegen die Kurden im eigenen Land dient dabei auch der Ablenkung von massiven rechtsstaatlichen Problemen.
Ein starker Euro Erst eine gemeinsame europäische Währung ermöglicht den Bürgern echte Bewegungsfreiheit und trägt maßgeblich zur spontanen Mobilität bei. Die Stabilität des Euro leidet allerdings unter einer sprunghaften Rettungspolitik und unkonkreten Stabilitätskriterien. Die FDP fordert entsprechend:
  • Verbindliche Stabilitätskriterien. Für den Verstoß gegen die Kriterien muss ein konkreter Katalog an automatischen Sanktionsmaßnahmen entstehen. Der wiederholte bewusste Verstoß gegen die Kriterien muss letztlich zum Ausschluss aus der Währungsunion führen.
  • Austrittsmöglichkeit. Staaten müssen die Möglichkeit für einen zumindest temporären Austritt aus dem Euro erhalten. Für Austritt und Wiedereintritt ist ein assistiertes Standardverfahren zu erarbeiten.
  • Keine zentral verwalteten automatischen Rettungsmaßnahmen.Hilfemaßnahmen für verschuldete Staaten sind immer einzeln durch die Mitgliedsstaaten zu beschließen und zu finanzieren. Automatismen führen ansonsten dazu, dass ein Anreiz für solide Finanzpolitik fehlt.
Abbau des Demokratiedefizits Die Europäische Union war anfangs ein Projekt der Regierungen mit geringen eigenen Kompetenzen. Sie und ihre Organe haben im Laufe der Jahre deutlich an Macht gewonnen, eine grundlegende demokratische Öffnung des starren und unkontrolliert gewachsenen Apparates ist aber ausgeblieben. Wir fordern eine Reform der europäischen Institutionen:
  • Demokratische Repräsentation im Europäischen Parlament. Die Zusammensetzung des Parlaments muss die Bevölkerungsverhältnisse möglichst genau abbilden, damit jeder europäische Bürger das gleiche Stimmgewicht hat. Dafür braucht es ein EU-einheitliches Wahlrecht, welches sich an einem personalisierten Verhältniswahlsystem orientieren soll.
  • Stärkung des Rates der EU. Das Europäische Parlament und der Rat der EU werden zu einem Zweikammersystem weiterentwickelt. Da eine Beteiligung der Regierungen in allen Fachfragen über den Rat gewährleistet ist, wird der zusätzliche Europäische Rat der Staats- und Regierungschef abgeschafft.
  • Initiativrecht für das Parlament. Fraktionen sowie 5% der Abgeordneten im Europäischen Parlament erhalten ein Initiativrecht für Verordnungen und Richtlinien.
  • Demokratisierung der Kommission. Das Europäische Parlament wählt den Kommissionspräsidenten mit absoluter Mehrheit. Wird diese Wahl nicht vom Rat der EU bestätigt, erfolgt eine Neuwahl. Das Parlament hat das Recht zum konstruktiven, der Rat der EU das Recht zum einfachen Misstrauensvotum gegen den Kommissionspräsidenten. Der Kommissionspräsident ernennt und entlässt bis zu 20 Kommissare. Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik gehört nicht mehr dem Rat der EU an und soll in seinen Kompetenzen gestärkt werden, um eine europäisch einheitliche Außenpolitik zu erreichen.
Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit. Die Entscheidungsfindung findet im Parlament mit einfacher Mehrheit, im Rat der EU mit qualifizierter Mehrheit statt. Die bisweilen erforderliche Einstimmigkeit ist abzuschaffen, da sie lediglich kleineren Staaten die Möglichkeit zur Verhinderung von Maßnahmen im Alleingang bietet