Nachsteuerungsbedarf Bolognaprozess
61. Ordentlicher Landesparteitag
25./26.09.2010 in Kulmbach
Beschluss zu A 15, 38
Verweisung des Antrages an den Landesvorstand
Behandlung und Beschluss in der Landesvorstandssitzung am 11.03.2011
Nachsteuerungsbedarf Bolognaprozess
Thesen zum Nachsteuerungsbedarf Bolognaprozess
Reformen zügig umsetzen – Bildungsqualität sichern – Wissenschaftsstandort Bayern stärken
Zum Bolognaprozess mit seinen europaweit vergleichbaren zweistufigen Studienabschlüssen (BA/MA), dem
Leistungspunktesystem und der Modularisierung gibt es keine Alternative.
Vielmehr gilt es, seine Chancen zur Stärkung des Wissenschaftsstandorts Bayern zu nutzen und den
Europäischen Hochschulraum zu verwirklichen.
Die FDP Bayern begrüßt nachdrücklich, dass die Umsetzung der im so genannten Bolognaprozess auf
europäischer Ebene vereinbarten Reformen für die bayerischen Hochschulen unter liberaler Führung des
Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst nun deutlich an Fahrt aufgenommen haben.
Trotz deutlicher Fortschritte ist die Umsetzung des nunmehr zehnjährigen Bolognaprozesses an den
Hochschulen – leider auch in Bayern – noch nicht befriedigend. Der Staat muss die notwendigen
Rahmenbedingungen zum Gelingen dieses Prozesses schaffen. Auf die Beschlüsse und Empfehlungen von
KMK, HRK, Wissenschaftsrat und DHV wird Bezug genommen. Der im Koalitionsvertrag der schwarz-gelben
Bundesregierung vereinbarte „Bologna-Qualitäts- und Mobilitätspakt“ wird ausdrücklich begrüßt.
Angestrebt wird eine zielgerichtete Ausbildung von Nachwuchskräften für Wirtschaft, Wissenschaft und
Staatsdienst. Durch das an die fachlichen Anforderungen angepasste Ausbildungsniveau der BachelorAbschlüsse soll eine national und international hohe Akzeptanz erreicht werden, die zu einem hohen
Beschäftigungsanteil führt.
Die FDP Bayern fordert die Landtagsfraktion der FDP auf, sich gemeinsam mit Staatsminister Heubisch
weiterhin für die zügige Umsetzung des Bolognaprozesses einzusetzen. Der Freistaat muss für verlässliche
und nachhaltige Rahmenbedingungen sorgen und - bei Wahrung der Hochschulautonomie – den an den
Hochschulen eingeleiteten Optimierungsprozess aktiv begleiten und unterstützen, u.a. durch Anreize und
geeignete Zielvereinbarungen. Das vor kurzem von Staatsminister Heubisch in München durchgeführte
Symposium ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.
Hauptforderungen sind:
- die Studierfähigkeit der Studiengänge sichern
- die nationale und internationale Mobilität fördern
- die Akzeptanz der Studienabschlüsse verbessern
- die Lehr- und Studienbedingungen optimieren
- die Studienfinanzierung langfristig stabilisieren
Im Einzelnen sieht die FDP Bayern in folgenden Bereichen noch 38 Handlungsbedarf:
1. Studierfähigkeit der Studiengänge sichern
1.1. Flexibilisierung der Bachelor-Studiengänge
Die in den Strukturvorgaben eingeräumten Flexibilisierungspotentiale bei Inhalten, Modularisierung und
Regelstudienzeiten sind von den Hochschulen im Interesse fachlicher Anforderungen und Studierfähigkeit
offensiv zu nutzen.
Dazu gehören:
- Ausschöpfung der in den Strukturvorgaben vorgesehenen Bandbreiten von Regelstudienzeiten in
Bachelor-Studiengängen (sechs, sieben oder acht Semester),
- Überprüfung der Studieninhalte und Modulstrukturen auf Studierfähigkeit und Berufsbefähigung und ihre
Überarbeitung in Zusammenarbeit mit Studierenden und Wirtschaft, Abstimmung mit den
Akkreditierungsagenturen
- Schaffung von Freiräumen, um Studierenden eine individuelle Schwerpunktsetzung zu ermöglichen
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(Kerncurricula, wahlfreie Module) über s.g. „Mobilitätsfenster“ hinaus
1.2 Korrektur der Prüfungsdichte
Zur Entlastung der Studierenden und der Dozenten ist die Prüfungsdichte deutlich zu reduzieren. Die
reformierten KMK-Strukturvorgaben sind konsequent umzusetzen.
Dazu gehören:
- Module sollten in der Regel nur mit einer Prüfungsleistung abschließen.
- Sachgerechte Modulgrößen (i.d.R. nicht kleiner als 5 Leistungspunkte)
- Nutzung der satzungsrechtlichen Möglichkeit zur Wiederholung von Prüfungen zur Verbesserung von
Prüfungsleistungen
- Flexible Anrechnung außerhalb des Hochschulbereichs erworbener gleichwertiger Kompetenzen und
Fähigkeiten
1.3 Zugang zum Master und Ausrichtung flexibilisieren
Der Übergang zum Master darf allein von der Eignung und nicht von kapazitätsbestimmten Übertrittsquoten
abhängen. Entscheidend muss die Befähigung entsprechend der wissenschaftlichen und
forschungsorientierten Ausrichtung des Masterstudiums sein. Dazu sind neue Wege zu beschreiten, die sich
nicht zu sehr an den bisherigen Diplom- und Magisterstudiengängen orientieren.
Dazu gehören:
- Entwicklung transparenter, fachbezogener Kriterien für den Übergang zum Master im Rahmen der
Hochschulautonomie und ihre Verankerung in den Hochschulsatzungen.
- Ausschöpfung der Bandbreite zur Ausgestaltung der Master-Studiengänge als vertiefende, verbreiternde,
fachübergreifende oder fachlich andere Studiengänge. Mehr Weiterbildungsgänge nach berufspraktischer
Erfahrung.
- Abkoppelung des Einstellungsverfahrens für den öffentlichen Dienst vom akademischen Studium. Das 1.
Staatsexamen längerfristig durch den Masterabschluss ersetzen.
- Bis das bestehende Defizit in der berufsqualifizierenden Anerkennung von Bachelor-Abschlüssen beseitigt
ist, soll der Bachelor-Abschluss hinreichende Eingangsvoraussetzung für einen Masterstudiengang sein.
1.4 Öffnung der zu starren Obergrenzen für Regelstudienzeiten bei konsekutiven Studien81
Gängen
Das System der Regelstudienzeiten ist insgesamt zu flexibilisieren. Unterschiedliche fachliche
Anforderungen sind ebenso wie die sich verändernden beruflichen und sozialen Verhältnisse der
Studierenden stärker zu berücksichtigen.
Dazu gehören:
- Flexibilisierung der Obergrenze von 10 Semestern bei konsekutiven Studiengängen (Regelfall) nach
abweichenden Erfordernissen von Fachdisziplinen (z. B. Medizin), wie dies auch vergleichbare
Regelungen anderer Staaten vorsehen (Ausnahmecharakter!). Obergrenzen von 8 Semestern beim
Bachelor und 4 Semestern beim Master bei höchstens 12 Semestern insgesamt dürfen nicht überschritten
werden.
- Sonderregelungen für berufsbegleitende Teilzeitstudiengängen für die zunehmende Zahl an Zulassungen
mit Berufsqualifikation und Berufserfahrung sowie für Weiterbildungsstudiengänge (incl. virtueller
Lehrangebote).
- Exmatrikulationen bei Überschreitung der Regelstudienzeiten auf Grund zwingender persönlicher
Umstände (Familie, Beruf) sind flexibel zu handhaben.
- Die Bezugsdauer von Bafög ist anzupassen. Außerdem muss es für Studierende, die Kinder erziehen
oder Angehörige pflegen, ermöglicht werden, BAföG auch im Rahmen eines Teilzeitstudiums zu beziehen.
- Modularisierung als Basis für lebenslanges, berufsbegleitendes Lernen auch Grundlage für
Weiterbildungsstudiengänge.
2. Nationale und internationale Mobilität fördern, stärkere Internationalisierung
2.1 Harmonisierung der Kerncurricula
Mobilität setzt Vergleichbarkeit und Bereitschaft zu gegenseitiger Anerkennung von Studienleistungen und
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Abschlüssen voraus. Eine stärkere Kooperation der Hochschulen auf nationaler und EU-Ebene ist dringlich.
Dazu gehören:
- Harmonisierung der Kernkompetenzen gleichartiger Studiengänge auf Landesebene.
- Unbürokratische und auf gegenseitige Vertrauensbasis gründende Anrechnung nationaler und
internationaler Module und Studienabschlüsse (Ablehnung nur bei wesentlichen Unterschieden und
hinreichend begründet).
2.2 Stärkere internationale Ausrichtung des Studiums
Das Ziel des Bolognaprozesses, die Wege zu einem Europäischen Hochschulraum zu öffnen, verlangt einen
Ausbau der internationalen Zusammenarbeit bei Forschung und Lehre unter Einbeziehung der
Forschungseinrichtungen.
Dazu gehören:
- Mehr Austausch von Dozenten, fremdsprachliche Lehrangebote, internationale Symposien
- Mentoringprogramme für ausländische Studierende (incl. Sprachkurse)
- Internationale Zusammenarbeit von Hochschulen sowie öffentlicher und privater Forschungseinrichtungen
bei Forschungsgroßprojekten.
3. Akzeptanz der neuen Abschlüsse verbessern
Ein bedarfsgerechtes hohes Ausbildungsniveau entscheidet über die Akzeptanz der neuen Abschlüsse in
Wirtschaft, Wissenschaft und öffentlichem Dienst. Die Akzeptanz ist in der Wirtschaft oft höher als
angenommen. Sie wird aber zu Recht im öffentlichen Dienst beklagt.
Akzeptanz setzt voraus, dass „das Produkt stimmt“ und dem Bedarf der Abnehmer entspricht. Sie kann
durch mehr Transparenz und durch geeignete Marketingmaßnahmen unterstützt werden.
Dazu gehören:
- Generelle Ausgabe von „Diploma Supplements“ in Ergänzung der Abschlusszeugnisse.
- Orientierung am „Markt“ und an der wissenschaftlichen, technischen und ökonomischen Entwicklung bei
Konzipierung und Fortschreibung von Studiengängen (z.B. durch Kontaktnetzwerke,
Absolventenbefragungen, Verbleibstudien, Befragung der Abnehmer)
- Etablierung geeigneter Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen, insbesondere zur Förderung des
Images von Bachelor-Abschlüssen.
- Anerkennung der Bachelor-Abschlüsse als Eingangsvoraussetzung für den öffentlichen Höheren Dienst
im Rahmen der Dienstrechtsreform.
4. Lehr- und Studienbedingungen optimieren
4.1 Solide und nachhaltige Grundfinanzierung durch die Staatsregierung
Nach den bisherigen Erfahrungen berücksichtigen die im „Innovationsbündnis Hochschulen 2013“
unterstellten Kapazitätsberechnungen auf der Basis 2005 den „Bolognaeffekt“ (höhere Betreuungsintensität,
voraussichtlich teilweise Verlängerung der Regelstudienzeiten bei Bachelor-Studiengängen und höhere
Übergangsquote zum Master) nicht ausreichend. Notwendig sind weitere Investitionen in Personal, Räumen
und Sachausstattung (Keine Finanzierung des Bolognaeffekts aus Studienbeiträgen!).
Dazu gehören:
- Finanzierung weiterer mindestens 10.000 Studienplätze.
- Dauerhafte Verbesserung der Betreuungsrelation durch eine deutliche Aufstockung der Dozenten
- Weiterer Hochschulausbau zur Beseitigung der teilweise unzumutbaren Raumsituation aber auch bessere
Ausnutzung der Raumkapazitäten durch die 152 Hochschulen (z. B. mehr Lehr-Angebote am Abend, am
Freitag und Samstag)
- Langfristig Festschreibung der Budgets der Hochschulen, insbesondere auch des Niveaus der
Studiengebühren, damit Planungssicherheit hinsichtlich ihrer Investitionen in Personal, Räume und
Sachausstattungen.
4.2 Evaluation und Qualitätssicherung von Prozessen, Inhalten und Strukturen
Die Evaluation und Qualitätssicherung der neuen Studiengänge, aber auch der Prozesse, Inhalte und
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Strukturen der Hochschulen insgesamt ist im Rahmen der Hochschulautonomie neu auszurichten.
Akkreditierungsagenturen können dabei als Dienstleister die Hochschulen unterstützen.
Dazu gehören:
- Weitgehende Umstellung der Akkreditierung durch Agenturen von der Programmakkreditierung jedes
Studienganges auf die Systemakkreditierung (Prozessakkreditierung) der Prozesse und
Qualitätssicherungssysteme. Grundsätzlich Programmakkreditierung und Qualitätssicherung durch die
Hochschulen nach transparenten Kriterien unter Einschaltung externer Gutachter (Überprüfung im Zuge
der Reakkreditierung).
- Transparente Kriterien für Evaluation und Akkreditierung auf nationaler und internationaler Ebene,
möglichst als EU-Standards entsprechend den Empfehlungen der European Association for Quality
Assurance in Higher Education (ENQA) (Das Problem unterschiedlicher nationaler Hochschulkulturen
bleibt bei einer Systemakkreditierung begrenzt).
- Veröffentlichung der Ergebnisse der Evaluation. Benchmarks als Anreiz für Qualitätswettbewerb.
- Einführung eines Qualitätssiegels (‚Bolognaready’) für Hochschulen.
- Stärkere Mitwirkung der Studierenden bei der Ausgestaltung und Evaluation der Studiengänge, z. B. über
Studiengangskommissionen, Fakultätskommissionen und Senatskommissionen mit Absicherung durch
Zielvereinbarungen.
4.3 Intensivierung der Beratung und Betreuung an den Hochschulen
Die Beratung und Betreuung der in- und ausländischen Studierenden in den ersten Semestern (incl.
Beratung zu Stipendien und Studienkrediten) ist möglichst fachbezogen auszubauen.
Dazu gehören:
- Flächendeckend hauptamtlich besetzte Anlaufstellen.
- Ausbau des Tutorensystems (Studierende in höheren Semestern, wissenschaftliche Mitarbeiter in
Teilzeitform).
- Kursangebote zu Stressresistenz, Zeitmanagement und Arbeitstechniken Budgets für Mentoren bei
Graduiertenstudiengängen. Ausbau elektronischer Informationsmedien.
5. Die Studienfinanzierung langfristig stabilisieren
Die Forderung der FDP nach mehr Chancen für begabte und leistungsbereite Studierende auch aus
benachteiligten Schichten machen eine Prüfung der Studienfinanzierung notwendig. Dies gilt insbesondere
wegen der höheren zeitlichen Belastung durch die strafferen Studienbedingungen nach Einführung des
Bolognaprozesses. Zugleich ist eine langfristige Stabilisierung der Studienfinanzierung mit einer besseren
Balance zwischen Studienbeiträgen und Stipendien anzustreben.