Köhler im Interview: Müssen Zielkonflikte auflösen
Bayerns FDP-Generalsekretär Lukas Köhler im Interview mit dem Straubinger Tagblatt. Ein Gespräch über flächendeckende Lockdowns, die schwierige Frage nach einer allgemeinen Impfpflicht und warum sich Klimaschutzmaßnahmen für Kommunen lohnen können.

Straubinger Tagblatt: Herr Köhler, mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde der FDP mehr oder minder das Fundament ihrer Oppositionspolitik entzogen. Müssen jetzt wesentliche Teile dieser Oppositionsrhetorik aufgegeben werden?
Lukas Köhler: Das würde ich anders bewerten. Fest steht: Das Bundesverfassungsgericht ist sehr eindeutig darin, dass ein Lockdown verfassungsgemäß war – in der damaligen Situation. Das ist auch zu akzeptieren.
Aber?
Das heißt aber nicht, dass es notwendig und die richtige politische Entscheidung war, das umzusetzen. Vor allem hat das Urteil keine Aussagewirkung für die kommenden Entscheidungen. Einen flächendeckenden Lockdown wieder einzuführen, würde ich nicht für sinnvoll erachten. Die Ampel in Berlin hat den Ländern genug Möglichkeiten gegeben, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen.
Über eine allgemeine Impfpflicht soll bald ohne Fraktionszwang im Bundestag abgestimmt werden. In der FDP-Bundestagsfraktion gibt es Befürworter und Gegner, eine einheitliche Linie wird es wohl nicht geben. Wie stehen Sie zur Impfpflicht?
Ich halte es für richtig, in einer Frage, bei der wir zwei Grundrechte gegeneinander abwägen müssen, die Fraktionspflicht aufheben. Das ist eine Gewissensentscheidung, die jeder für sich selber treffen muss. Ich persönlich bin noch nicht zu hundert Prozent entschieden.
Woran liegt das?
Es gibt sowohl gute Argumente für eine allgemeine Impfpflicht als auch dagegen. Zum aktuellen Zeitpunkt bringt die allgemeine Impfpflicht für das Aufhalten der vierten Welle nichts. Sehr wohl aber langfristig, selbst wenn eine solche erst im Frühjahr in Kraft tritt. Sonst drohen wir doch, nächsten Herbst und Winter wieder an demselben Punkt zu stehen und in eine fünfte Welle zu schlittern. Deshalb schließe ich eine allgemeine Impfpflicht auch nicht aus. Klar sollte aber auch sein, dass eine Impfpflicht nicht das eine schlagende Instrument sein wird, das uns sofort aus der Pandemie führt. Auch gibt es noch viele rechtliche Fragen, die in diesem Zusammenhang zu klären sind. Und schließlich müssten wir gegebenenfalls entscheiden, ob es eine allgemeine Impfpflicht für jeden geben soll oder etwa ab einer bestimmten Altersschwelle. Das muss jetzt in den Parlamenten diskutiert werden.
Lassen Sie uns über die Klimapolitik sprechen. Sie haben in der Ausarbeitung des Ampel-Koalitionsvertrags die Arbeitsgruppe Klima und Energie geleitet. Im Koalitionsvertrag ist von einem Ausbauturbo etwa für Windräder die Rede. Dazu sollen Planungs- und Genehmigungsverfahren verkürzt werden. Können diese Vorhaben auch standhalten, wenn sie auf die Realität in Kommunen und vor allem bei Bürgern treffen?
Es ist richtig, Bürger nach wie vor beim Ausbau von erneuerbaren Energien oder Stromtrassen einzubinden. Um Planfeststellungsverfahren zu beschleunigen, müssen wir zum einen Zielkonflikte auflösen, zum Beispiel zwischen Natur- und Klimaschutz. Zum anderen braucht es bessere Verfahren, die auch mit mehr Personal hinterlegt sind, sodass Anträge schneller bearbeitet werden können. Das gilt auch für Gerichtsverfahren.
Aber zurück zu möglichen Protesten von Anwohnern und Bürgern.
Die Beteiligung der Bürger muss gestärkt werden, beziehungsweise stark bleiben. Dadurch sollte sich das Verfahren aber nicht verzögern. Eine Bürgerbeteiligung hat nicht zum Ziel, dass das Verfahren lange dauert, sondern, dass alle Meinungen gehört und entsprechend abgewogen werden. Aber es ist genauso wichtig, dass man Bürger an den Einnahmen aus zum Beispiel neuen Windparks beteiligt. Diese Stärkung der finanziellen Beteiligung von Kommunen kann auch dafür sorgen, dass man vor Ort einen spürbaren Mehrwert hat. Ich glaube, die Mischung von klaren Verfahren, der Abwägung von Gütern, der Bürgerbeteiligung und der Beteiligung an finanziellen Möglichkeiten ist gut.
Das klingt abstrakt. Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Ich könnte mir vorstellen, dass ein Kita-Neubau oder der Neubau eines Feuerwehrhauses entsprechend aus solchen Einnahmen von Windparks gegenfinanziert wird und somit auch der kommunale Haushalt deutlich entlastet wird.
Zuletzt noch zur Klimapolitik auf EU-Ebene. Atomenergie soll als grüne Technologie eingestuft werden. Trotz des Widerstands aus Deutschland wird sich das kaum vermeiden lassen. Wie positionieren Sie sich dazu?
In Deutschland sehen wir Liberale keine Zukunft für die Atomenergie. Wenn wir aber Atomenergie und Kohleverstromung hierzulande beenden, brauchen wir eine Alternative, um weiterhin Versorgungssicherheit zu garantieren. Die Ampel setzt auf Gas als Übergangstechnologie. Eine Brückentechnologie, um sicherzustellen, dass die Preise unten bleiben und wir in Deutschland zu jeder Zeit genügend Stromversorgung haben.